Warum denn ausgerechnet Neuseeland? Das liegt ja am Ende der Welt. So oder so ähnlich war die Reaktion, als wir von unserem Plan erzählten, nach Neuseeland zu gehen, um dort zu leben und wenn möglich eine eigene Gärtnerei aufzubauen.
Am Ende der Welt oder am Anfang? Das liegt daran, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet. Neuseeland liegt im Pazifischen Ozean, südwestlich von Australien, und ist jeden Tag das erste Land der Welt, das den neuen Tag erblickt. Wie auch immer, es ändert nichts an der Tatsache, daß es 20.000 km von Europa entfernt in der südlichen Hemisphäre der Erde liegt. Wer hierher fliegt, nimmt eine 24stündige Flugreise auf sich, und das macht den Neuankömmlingen den ersten Tag gleich zur Nacht. Zwölf Stunden Zeitunterschied gehen ohne Jetlag nicht ab. Neuseeland liegt eben doch am Ende der Welt, weiter geht es nicht, jedenfalls nicht von Deutschland aus.
Aotearoa, oder das „Land der weißen Wolke“. So nennen die Maoris, Neuseelands Ureinwohner, ihr geliebtes Land, das mit seiner so vielfältigen Natur in großen Filmen für die richtige Kulisse sorgt. Neuseeland ist ein noch sehr junges Land, auf das James Cook 1769 im Auftrag der englischen Krone Anspruch erhob.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Neuseeland aber eine eigenständige Demokratie, auch wenn es noch zum Commonwealth gehört. Der Wirtschaft des Landes geht es gut, was vor allem dem Weinbau, der Landwirtschaft und dem Tourismus zu verdanken ist. Die Arbeitslosenrate liegt unter 3%, womit man an der Weltspitze steht. Neuseeland ist seit jeher ein Einwanderungsland. Es kamen die Engländer und Schotten, die Niederländer und andere Europäer. Auch heute kommen jährlich bis zu vierzigtausend Einwanderer hinzu, mittlerweile nicht nur aus Europa, sondern aus Asien und von den Inseln des pazifischen Ozeans. Die Kiwis, wie sich die Neuseeländer auch selber gerne nennen, sind deshalb an Einwanderer gewöhnt, und man hat nicht das Gefühl, Ausländer zu sein. Schließlich haben etwa neunzig Prozent der Bevölkerung europäische Vorfahren. Den deutschen Akzent wird man allerdings nicht so schnell los, und der verrät jedem Kiwi, daß man noch neu ist.
Es ist nicht ganz einfach, eine feste Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, und außerdem mit viel unangenehmem Papierkram verbunden. Die Einwanderungsbehörde ist sehr streng und arbeitet mit einem Punktesystem. Punkte bekommt man für Ausbildung, Berufserfahrung und für ein Arbeitsangebot hier in Neuseeland. Leider ändert sich die für eine mögliche Einwanderung nötige Punkteanzahl fast jeden Monat, und auch die Liste der bevorzugten Berufe ändert sich regelmäßig. Wir hatten Glück. Unsere gartenbaulichen Kenntnisse sind hier sehr willkommen, und wir konnten unser Arbeitsvisum schon nach einigen Monaten in eine feste Aufenthaltsgenehmigung umwandeln. Das Arbeitsvisum bekamen wir auf Ads – Hatte ich schon erwähnt, dass ich am 30.12.2004 geheiratet habe? – Arbeitsplatz ausgestellt. Sein Chef, der auch erst seit acht Jahren hier lebt, suchte einen Manager für den eigenen Gemüsebaubetrieb. Gurken sind zwar nicht gerade Ads Lieblingsbeschäftigung, aber was tut man nicht alles, um ein Arbeitsvisum zu bekommen.
Zu seinem Arbeitsangebot gehörte auch ein niedliches kleines Haus, das wir seitdem bewohnen. Für mich war es kein Problem, erst nachdem wir hier ankamen eine Arbeitsstelle zu suchen. Schon nach wenigen Wochen konnte ich in einer Gärtnerei mit Cymbidium beginnen.
Die meisten Gartenbaubetriebe hier in Neuseeland sind sehr klein. Sie sind wohl eher aus dem Hobby heraus entstanden. Die durchschnittliche Betriebsfläche liegt unter 1.000 qm, und man nennt das ganze dann „lifestyle with income“. Es wird für den Export und für den heimischen Markt produziert. Der Neuseeländische Markt ist mit nur 4 Millionen Einwohnern allerdings sehr klein. Abgesetzt wird über Exportbetriebe, direkt oder über die Versteigerung in Auckland oder Wellington. Im Gemüsebau findet man deutlich größere Betriebe, Tomaten-, Paprika- und Gurkenbetriebe mit einer Fläche von mehreren Hektaren. Der Gemüsebau produziert für den heimischen, aber vor allem auch für den australischen Markt.
Unserem Traum, eine eigene Gärtnerei aufzubauen, sind wir seit ein paar Wochen auch etwas näher gekommen. Es ergab sich die Gelegenheit, ein kleines Gewächshaus zu pachten. 2.000 qm Cymbidium sind ein guter Start zu einer eigenen Gärtnerei, so hoffen wir. Leider ist es noch ein wenig zu klein, um davon leben zu können. Deshalb wird sie zunächst nebenbei betrieben. Cymbidium ist eines der größten Exportprodukte des neuseeländischen Zierpflanzenbaus, und man hat den Vorteil, daß man nicht in die europäische Saison fällt. Exportiert wird hauptsächlich nach Japan, aber auch nach Amerika und Europa. Der nächste Winter wird unsere erste Saison werden. Wir sind schon sehr gespannt und hoffen, daß alles gutgeht.
Neben der vielen Arbeit bleibt aber auch noch etwas Zeit übrig, um das Land zu erkunden. An den Wochenenden finden wir immer wieder wunderschöne rauhe Strände oder einsame Wanderwege. Im Winter verbrachten wir unsere Wochenenden im Schnee. Das Skigebiet der Nordinsel liegt auf einem Vulkan, Mt. Ruapehu, der das letzte mal 1996 ausgebrochen ist. Während wir ihn besuchten, hat er sich glücklicherweise nicht gerührt.
Mittlerweile ist aber der Frühling und damit die Lämmerzeit, bei 12 Millionen Schafen unübersehbar, hier eingekehrt. Der Grill ist frisch geputzt, und die Grillsaison wird bald eröffnet werden. Grillparties im November sind eine ganz neue Erfahrung, und die Weihnachtsstimmung mag da gar nicht so recht aufkommen.
Birgit Alkemeier, TZ 1998/2000