Diese etwas gewagte Theorie prüfte Sebastian Braun, Techniker Zierpflanzenbau, Schuljahr 2001/2003, ausgerechnet in der Stadtgärtnerei von Townsville im Staat Queensland, Australien.
Den Anfang habe ich eigentlich nur gewählt, um Herrn Middendorf eine kleine Freude zu machen (Das ist wirklich nett und die Freude groß; der Korrektor).- Zunächst möchte ich einige wenige Sätze zu meiner Person schreiben.
Im August 1996 begann ich eine zweijährige Ausbildung zum Gärtner im Zierpflanzenbau, die ich im Sommer 1998 sogar erfolgreich abschließen konnte. Meine Gehilfenzeit verbrachte ich in einer Friedhofsgärtnerei in Dortmund, anschließend in einem Garten- und Landschaftsbaubetrieb in Bochum sowie ein dreiviertel Jahr auf der Landesgartenschau 2000, der Aqua Magica, in Bad Oeynhausen/Löhne. Im Frühjahr 2001 meldete ich mich dann in Wolbeck zur Fachschule an, um meinen Techniker im Bereich Produktion und Vermarktung mit der Fachrichtung Zierpflanzenbau zu machen. Diesen konnte ich im Sommer 2003 dann mein Eigen nennen, und es ist noch nicht einmal gelogen, wenn ich sage, dass es eine sehr schöne Zeit war. Aber das werden die meisten Leser ja wissen, schließlich handelt es sich um die Webseite der Ehemaligen. Mit dem Techniker in der Tasche ging es zurück nach Witten, um in der elterlichen Endverkaufsgärtnerei zu arbeiten.
Anfang 2007 begannen dann die ersten Überlegungen meiner Freundin Nicole, für einige Zeit ins Ausland zu gehen, Erfahrungen zu sammeln und vor allem das Englisch aufzubessern. Für mich stellte sich nun die Frage: Und was machst DU? Ziemlich schnell wurde mir klar, dass dies eine einmalige Gelegenheit zu einem längeren Auslandsaufenthalt war, zumal sich sehr schnell Australien als Ziel erster Wahl herauskristallisierte. Meine Eltern sind noch rüstig und fit, können den Betrieb also noch gut ohne mich führen, und außerdem ist es ja auch kein Geheimnis, dass der anständige deutsche Gärtner den Betrieb das letzte Mal mit den Füßen voran verlässt. Der australische Gärtner übrigens auch! Nicole bewarb sich auf eine Stelle an der James Cook University in der Stadt Townsville im Staat Queensland.
Anfang 2008 hatten wir dann die Gelegenheit, im Rahmen einer vierwöchigen Reise Australien zu besuchen, uns Townsville und die Universität anzuschauen. Nicole hatte zugleich auch ein Vorstellungsgespräch. Kurz nach unserem Australienurlaub zurück in Deutschland bekam sie die Nachricht, dass sie die Stelle bekommt und sobald wie möglich antreten kann. Wir mussten eigentlich nur noch auf die Unterlagen aus Queensland warten, um das Visum beantragen zu können.
Unser Visum ist das sogenannte „permanent residency“, was soviel heißt wie dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Auf die gesamte Visaprozedur an dieser Stelle einzugehen, würde sicher zu weit führen; es sei nur soviel gesagt: Es hat verdammt lange gedauert und auch eine schöne Stange Geld gekostet. Die Ausgaben umfassten beglaubigte Übersetzungen etlicher Dokumente, einen Sprachtest, ärztliche Untersuchung und nicht zuletzt die Kosten für das Visum. Inklusive der beiden one-way-Flüge summierte es sich auf etwa 3500,- €, und wir hatten Deutschland noch nicht einmal verlassen. Wir reichten den Visumantrag Anfang März ein, und am 11. August schließlich klebte das Visum in unseren Pässen!
Im September 2008 ging es dann nach Townsville. Kaum in Australien angekommen, werden einem zunächst die Dimensionen des Landes bewusst. Wir landeten in Brisbane, der Hauptstadt von Queensland. Der Anschlussflug nach Townsville dauerte dann nochmals zwei Stunden.
Der Staat Queensland vereinnahmt die rechte obere Ecke auf der Australienkarte und ist etwa viermal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Er ist aber mit rund viereinhalb Millionen Einwohnern nicht wirklich dicht besiedelt. Townsville liegt, wie rund neunzig Prozent aller Städte Australiens, an der Küste 350 km südlich von Cairns und 1400 km nördlich von Brisbane, welches dann auch die nächstgrößere Stadt darstellt.
Townsville hat derzeit rund 180.000 Einwohner und ist stark geprägt durch die Armee. Etwa ein Drittel der Einwohner Townsvilles sind Soldaten und Armeeangehörige. Die Stadt wächst ständig, die Einwohnerzahl hat sich in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt, und momentan werden hier etwa zehn Neubaugebiete in fünf Stadtteilen erschlossen beziehungsweise bebaut, nicht zuletzt, weil die australische Armee plant, ein weiteres Bataillon von Sydney nach Townsville zu verlegen. Man muss den Australiern durchaus einen gewissen Sinn für Logik zugestehen, denn nach selbiger befinden wir uns in North-Queensland, wovon Townsville auch die selbsternannte Hauptstadt ist. Alles, was sich weiter nördlich befindet, Cairns zum Beispiel, ist dann der Logik nach Far-North-Queensland. Townsville liegt auf dem 19. Grad südlicher Breite. Das umliegende Gebiet wird als aride Tropen bezeichnet, was soviel bedeutet wie trockene Tropen. Daher gibt es nahe der Stadt auch keinen Regenwald. Trocken ist es, weil der meiste Regen, und zwar vornehmlich im Winter, von umliegenden Gebirgsketten abgehalten wird. Cairns bekommt deutlich höhere Niederschlagsmengen ab.
Aufgrund dieser Trockenheit von Mai bis November wurde Townsville zu früheren Zeiten, als die Bewässerung noch nicht so ausgeklügelt oder nicht vorhanden war, auch gerne als Brownsville bezeichnet. Die durchschnittliche Tageshöchsttemperatur im langjährigen Mittel beträgt 28,9° C, soll heißen man friert eher selten. Auch nachts nicht, weil die jemals gemessene tiefste Temperatur 1,1° C war. Das war am 9. August 1941. Von November bis April herrscht dann Regenzeit, das heißt, dass das Monsoon-Tiefdruckgebiet sich in die südliche Hemisphäre begibt und mitunter sintflutartige Regenfälle mit sich führt. Wenn es nicht regnet, steigt die Luftfeuchtigkeit aber dennoch auf bis zu 90%, und dann ist es wie eine Mischung aus Sauna und Waschküche. Dieses Jahr hatte sich Anfang Februar ein Kategorie-1-Zyklon vor der Küste festgesetzt und vier Tage ununterbrochen Regen gebracht. Am dritten Februar waren es dann 240 mm Regen in vierundzwanzig Stunden. Die höchste je gemessene Regenmenge erlebte die Stadt mit 549 mm in vierundzwanzig Stunden am zehnten Januar 1998. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge pro Jahr liegt bei 1150 mm an einundneunzig Tagen, meine Heimatstadt Witten hingegen muss mit 750 mm auskommen, die sind allerdings besser verteilt. Aber es soll ja immer noch Leute geben, die behaupten, in Deutschland regne es zu viel. Neben dem vielen Regen ist in dieser Zeit auch eine Bedrohung durch tropische Wirbelstürme, so genannte Zyklone, allgegenwärtig. Die Stürme werden in die Kategorien eins bis fünf eingeteilt und können ähnlich Verheerendes anrichten wie Hurrikan „Kathrina“ in New Orleans. Ein Kategorie-fünf-Zyklon kann schon mal mit Windgeschwindigkeiten von 290 Stundenkilometern daherkommen. Die Empfehlung des Katastrophenmanagements der Stadt lautet in solchen Fällen, Verwandte zu besuchen oder den sichersten Raum im Haus aufzusuchen: das Bad! Wahrscheinlich, weil sich hier statt Tapeten einige Fliesen an der Wand befinden, die das Plus an Sicherheit ausmachen, wer weiß. Keller gibt es übrigens nicht. Daher hortet der Australier seinen Krempel auch in der Garage und lässt aus Platzmangel den fünfzigtausend-Dollar-Geländewagen in der Einfahrt stehen.
Wer hier in Townsville auf Arbeitssuche ist und keine zwei linken Hände besitzt, hat wenig Probleme, Arbeit zu finden. Sehr viel läuft mit sogenannten Casuals, also Gelegenheitsarbeitern oder Leiharbeitern, die durch verschiedene Agenturen beschäftigt sind und dann an die Unternehmen ausgeliehen werden. Es ist ein sehr flexibles System, der Arbeitnehmer bekommt 25% mehr Stundenlohn, dafür aber keinen bezahlten Urlaub oder sonstiges. Kurzum, er verdient nur Geld, wenn er arbeitet, der Graus für jeden deutschen Beamten.
Ich hätte wahrscheinlich sofort einen Job bei einer GaLa-Bau-Firma bekommen können. Mein Ziel war es allerdings, in einem der drei sehr schönen botanischen Gärten zu arbeiten, somit also bei der Stadt Townsville anzufangen. Letztendlich bekam ich auch einen Job bei der Stadt, allerdings nicht im botanischen Garten, sondern in der Stadtgärtnerei, was im Nachhinein gut war, denn in den botanischen Gärten hätten meine Haupttätigkeiten aus Rasen mähen, mit dem Freischneider arbeiten oder Beete mulchen bestanden. Von Unkraut jäten ganz zu schweigen.
Nun ist diese Stadtgärtnerei nicht mit einer in Deutschland, sofern es überhaupt noch welche gibt, vergleichbar. Wir stehen nicht den ganzen Tag herum und halten die Schaufel fest. Vielmehr muss der Betrieb, der eigentlich einer Containerbaumschule am nächsten kommt, profitorientiert arbeiten und erzielt auch rund achtzig Prozent seines Umsatzes mit externen Firmen. Diese Firmen sind vornehmlich Garten- und Landschaftsbaubetriebe, Bauträger und so weiter. Die restlichen zwanzig Prozent werden durch Verkäufe an die Stadt, wie beispielsweise die botanischen Gärten, erzielt. Der Jahresumsatz liegt bei rund 1,5 Millionen australischen Dollar, das entspricht zurzeit etwa 900 000 Euro.
Am Stammsitz werden auf einem Hektar Bäume, Sträucher und Bodendecker in Containern von einem bis zehn Liter produziert, aber auch zugehandelt. Wir führen beinahe das volle Sortiment, darunter 35 Callistemonsorten. Callistemon oder auch Zylinderputzer zählt zu den Myrtengewächsen und ist in Australien heimisch, wie auch Melaleuca und natürlich der Eucalyptus. In Deutschland sind Zylinderputzer den meisten als Kübelpflanzen bekannt, welche sich hervorragend überwintern lassen. Des weiteren trifft man hier oft alte Bekannte wie beispielsweise Yuccas, Cordylinen, Crotopft wird ausschließlich von Hand, sowohl die Bäume als auch die gesamten Pflanzen im Betrieb.
Ich habe vor einiger Zeit mal eine Topfmaschine ins Gespräch gebracht, weil wir mit fünf Mitarbeitern drei Arbeitskräfte hinter der planmäßigen Besetzung liegen. Wenn wir von Hand topfen und hätte die Arbeitskraft vier Tage draußen im Betrieb zur Verfügung. Leider kam ich mit meinem Vorschlag nicht besonders weit, weil es ziemlich schnell hieß, wenn wir eine Topfmaschine kaufen, müsste dafür eine Arbeitskraft entlassen werden. Diese Argumentation hat sich mir nicht ganz erschlossen, ist aber wahrscheinlich das, was man als Rationalisierung bezeichnet. Die North Queenslander behaupten gerne selbst von sich, das Queensland dem Rest der Welt zwanzig Jahre hinterher hinkt. Manchmal fällt es mir nicht besonders schwer, das zu glauben.
Durchaus unterhaltsam finde ich auch die kleine Geschichte über den Versuch, noch eine zusätzliche Arbeitskraft einzustellen. Nochmals zur Erinnerung: Wir sprechen hier von einer Gärtnerei, die wie in der freien Wirtschaft Gewinne einfahren muss und somit auch auf flexible Entscheidungen angewiesen ist. Die Prozedur läuft folgendermaßen ab: Mein Supervisor sendet eine e-mail mit entsprechender Anfrage an den Manager für Gartenbau und die botanischen Gärten. Dieser sendet sie weiter an den Manager von Parks Services. Dieser wiederum schickt die e-mail an den Director Parks and Gardens. Alle denken dann ein wenig darüber nach, oder was auch immer diese Herrn den lieben langen Tag tun. Vielleicht haben sie auch noch ein Meeting, Meetings kommen immer gut an. Dann geht die e-mail exakt den gleichen Weg zurück. Das dauert dann vier Wochen und die Antwort ist NEIN. Im Vergleich mit Deutschland ist hier der Kostendruck nicht so hoch und daher die Lage für viele Betriebe und Haushalte sicherlich entspannter. Aus anderen Quellen habe ich allerdings erfahren, dass das durchschnittliche Sparguthaben der Australier bei minus viertausend Dollar liegt. Die besten Sparer in Deutschland sind die Bayern mit einem durchschnittlichen Sparguthaben von 9.800 Euro auf der hohen Kante. Ob dies den Tatsachen entspricht, kann ich natürlich nicht sagen.
Allerdings fällt mir auf, dass in Läden oder Supermärkten sehr häufig mit der Kreditkarte bezahlt wird und das Geld auch locker zu sitzen scheint. Die Mehrwertsteuer liegt generell bei zehn Prozent, der Liter Benzin kostet zurzeit rund einen Dollar zwanzig, das sind 74 Eurocent, und die Heizung gibt’s zum Nulltarif. Bei einer durchschnittlichen Tagestiefsttemperatur von 19,8°C ist heizen auch nicht wirklich notwendig. Die Kilowattstunde Strom kostet etwa 19 Cent, das sind 12 Eurocent.
Zum Abschluss stellt sich die Frage: Was ist nach einem Jahr übrig geblieben vom Mythos Australien? Es ist ein fantastisches Land. Die Australier sind nette, freundliche Menschen, auch wenn es schwer ist, zu Australiern ein enges Verhältnis aufzubauen. Zumindest ist es hier oben so. Wenn man hier lebt, stellt man sehr schnell fest, dass auch hier nur mit Wasser gekocht wird, sie genauso ihre Formulare lieben und es noch immer der gleiche Planet ist, wenn auch die andere Seite. Bleibt zum Schluss nur noch zu sagen, dass es toll ist, hier zu leben, und in good old Germany ist lange nicht alles so schlecht wie wir es uns gerne einreden!
Sebastian Braun, Techniker Zierpflanzenbau, Schuljahr 2001/2003